Alkoholfahrt nicht nachweisbar: Rechtliche Grundlagen und Verteidigungsmöglichkeiten

Inhalt
alkoholfahrt nicht nachweisbar

Einleitung und Relevanz des Themas

Alkohol am Steuer ist in Deutschland ein ernstzunehmendes Vergehen, das weitreichende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Von Bußgeldern über Fahrverbote bis hin zu Freiheitsstrafen und dem dauerhaften Entzug der Fahrerlaubnis – die Folgen können gravierend sein. Doch nicht jeder Verdacht einer Alkoholfahrt lässt sich rechtssicher nachweisen.

Für viele Betroffene geht es bei einem Vorwurf der Trunkenheit im Straßenverkehr um existenzielle Fragen: Droht der Verlust des Führerscheins? Könnte damit der Arbeitsplatz in Gefahr sein? Welche Verteidigungsmöglichkeiten bestehen? Dieser Artikel beleuchtet die Situationen, in denen eine Alkoholfahrt möglicherweise nicht nachweisbar ist, und zeigt rechtliche Grundlagen sowie Verteidigungsstrategien auf.

Das Wichtigste im Überblick

  • Alkoholfahrten können unter bestimmten Umständen nicht rechtssicher nachweisbar sein – etwa bei Verfahrensfehlern, zeitlichem Abstand zur Messung oder unzuverlässigen Messverfahren
  • Die Beweislast liegt grundsätzlich bei den Strafverfolgungsbehörden – im Zweifel gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten)
  • Eine frühzeitige fachkundige Verteidigung durch einen Fachanwalt für Verkehrsrecht kann entscheidend sein, um Verfahrensmängel zu identifizieren und erfolgreich zu nutzen

Rechtliche Grundlagen bei Alkohol im Straßenverkehr

Gesetzliche Bestimmungen und Grenzwerte

Das deutsche Recht unterscheidet bei Alkohol im Straßenverkehr zwischen verschiedenen Tatbeständen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen:

Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG:

  • Ab 0,5 Promille liegt eine Ordnungswidrigkeit vor (§ 24a Abs. 1 StVG)
  • Sanktionen: Bußgeld (in der Regel 500 Euro für Erstverstoß), Fahrverbot (1 Monat für Erstverstoß) und Punkte im Fahreignungsregister


Straftat nach § 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr):

  • Ab einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,1 Promille liegt absolute Fahruntüchtigkeit vor
  • Bereits ab 0,3 Promille kann bei entsprechenden Ausfallerscheinungen oder Fahrfehlern relative Fahruntüchtigkeit vorliegen
  • Sanktionen: Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, Fahrerlaubnisentzug (3 bis 6 Monate oder länger)


Straftat nach § 315c StGB (Gefährdung des Straßenverkehrs):

  • Konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer oder fremder Sachen von bedeutendem Wert unter Alkoholeinfluss
  • Sanktionen: Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, längerfristiger Führerscheinentzug


Die rechtlich relevanten Grenzwerte wurden durch höchstrichterliche Rechtsprechung festgelegt und haben sich über die Zeit entwickelt. Während die 0,5-Promille-Grenze gesetzlich definiert ist, basieren die Grenzen für absolute und relative Fahruntüchtigkeit auf richterlichen Entscheidungen.

Nachweismethoden und ihre rechtliche Relevanz

Für den Nachweis einer Alkoholfahrt kommen verschiedene Methoden zum Einsatz, die unterschiedliche Beweiskraft haben:

Atemalkoholmessung:

  • Vortest mittels Handgerät (Alcotest): Dient nur als Indiz, nicht gerichtsverwertbar
  • Beweissichere Atemalkoholmessung (z.B. mit Dräger Alcotest 7110 oder Evidential 9510): Unter bestimmten Voraussetzungen gerichtlich verwertbar
  • Für eine Strafverfolgung nach §§ 316, 315c StGB ist jedoch in der Regel eine Blutprobe erforderlich

Blutalkoholbestimmung:

  • Gilt als zuverlässigste Methode
  • Erfordert zwei unabhängige Analyseverfahren
  • Durch medizinisches Fachpersonal durchzuführen
  • Unterliegt strengen formalen Anforderungen

Körperliche Untersuchung durch Arzt:

  • Dokumentation von Ausfallerscheinungen und körperlichen Auffälligkeiten
  • Dient als ergänzendes Beweismittel, besonders bei relativer Fahruntüchtigkeit

Situationen, in denen eine Alkoholfahrt nicht nachweisbar sein kann

Verfahrensfehler bei der Atemalkohol- oder Blutprobe

Die Beweiserhebung bei Alkoholfahrten unterliegt strengen formalen Anforderungen. Zahlreiche Verfahrensfehler können die Verwertbarkeit der Ergebnisse in Frage stellen:

Bei der Atemalkoholmessung:

  • Nichteinhaltung einer angemessenen Wartezeit seit letzter Alkoholaufnahme
  • Fehlende Kalibrierung des Messgeräts oder abgelaufene Eichfrist
  • Nichtberücksichtigung von Restalkohol im Mundraum (z.B. durch Mundspray, Bonbons)
  • Unzureichende Dokumentation des Messvorgangs
  • Fehlerhafte Bedienung des Geräts durch nicht geschultes Personal


Bei der Blutprobenentnahme:

  • Fehlen einer richterlichen Anordnung (oder polizeilichen Anordnung bei Gefahr im Verzug)
  • Unsachgemäße Lagerung oder Transport der Blutprobe
  • Kontamination der Probe (z.B. durch alkoholhaltige Desinfektionsmittel)
  • Verwechslung von Proben oder fehlerhafte Kennzeichnung
  • Überschreitung der Analysefrist oder Kühlkettenverletzung


Das OLG Karlsruhe betonte beispielsweise in einem Urteil vom 29.01.2018 (Az. 1 Rb 3 Ss 62/18) die wesentliche Bedeutung der Einhaltung der 20-minütigen Wartezeit für die Verwertbarkeit einer Atemalkoholmessung als Beweismittel.

Zeitliche Aspekte und Rückrechnung

Bei einem erheblichen zeitlichen Abstand zwischen Fahrtzeitpunkt und Messung kann die Beweisführung schwierig werden:

Nachtrunkbehauptung:

  • Behauptung des Beschuldigten, erst nach der Fahrt Alkohol konsumiert zu haben
  • Bei plausiblem Vortrag müssen Strafverfolgungsbehörden das Gegenteil beweisen


Rückrechnungsproblematik:

  • Die Rückrechnung des Blutalkoholwerts auf den Tatzeitpunkt unterliegt wissenschaftlichen Unsicherheiten
  • Standardmäßig wird ein stündlicher Abbau von 0,1 bis 0,2 Promille angenommen
  • Individuelle Faktoren (Geschlecht, Gewicht, Stoffwechsel) können erheblich abweichen
  • Bei größerem zeitlichen Abstand steigt die Ungenauigkeit


Der BGH hat in mehreren Entscheidungen (u.a. BGH 4 StR 507/00) die Grenzen zulässiger Rückrechnungen aufgezeigt und betont, dass bei Unsicherheiten der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt.

Fahrer-Identifikationsprobleme

Nicht selten ist unklar, wer tatsächlich gefahren ist:

  • Bei einem Fahrzeug mit mehreren möglichen Fahrern
  • Bei späterer Kontrolle, wenn der Beschuldigte nicht mehr am Fahrzeug angetroffen wurde
  • Bei anonymen Hinweisen ohne unabhängige Zeugen

Unzuverlässigkeit von Zeugenaussagen

Zeugenaussagen zu einer möglichen Alkoholisierung sind häufig subjektiv und unzuverlässig:

  • Laien können den Grad der Alkoholisierung oft nicht zuverlässig einschätzen
  • Erinnerungslücken oder -verzerrungen bei Zeugen
  • Widersprüchliche Aussagen verschiedener Zeugen

Technische Mängel oder Unzuverlässigkeit der Messgeräte

Auch die eingesetzten Messgeräte selbst können Anlass für Zweifel bieten:

  • Fehlerhafte Kalibrierung oder Wartungsmängel
  • Umwelteinflüsse (Temperatur, elektromagnetische Felder)
  • Bauartbedingte Messfehler oder Störanfälligkeit
  • Software-Fehler bei digitalen Messgeräten

Die Rechtsprechung verschiedener Gerichte hat die Bedeutung der Messgerätezuverlässigkeit und der vollständigen Dokumentation wiederholt hervorgehoben. Es ist allgemein anerkannt, dass die Zuverlässigkeit von Messgeräten und die Einhaltung vorgeschriebener Verfahrensabläufe (wie Wartezeiten und Dokumentation) wesentliche Voraussetzungen für die Verwertbarkeit von Messergebnissen sind. Dies wird regelmäßig in Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (z.B. BGH 4 StR 507/00) und anderer Gerichte betont.

Checkliste: Überprüfung der Nachweisbarkeit einer Alkoholfahrt

  • Wurde die Identität des Fahrers zweifelsfrei festgestellt?
  • Liegen ordnungsgemäße Messungen (Atemalkohol oder Blut) vor?
  • Wurden alle Formvorschriften bei der Beweiserhebung eingehalten?
  • Lag eine richterliche Anordnung für die Blutentnahme vor oder wurde „Gefahr im Verzug“ ausreichend dokumentiert?
  • Wurde die vorgeschriebene Wartezeit bei der Atemalkoholmessung eingehalten?
  • Sind die Messgeräte ordnungsgemäß geeicht und kalibriert gewesen?
  • Wurde der zeitliche Ablauf lückenlos dokumentiert?
  • Besteht die Möglichkeit eines plausiblen Nachtrunkszenarios?
  • Gibt es medizinische Besonderheiten, die die Messergebnisse beeinflussen könnten?
  • Liegen widersprüchliche Zeugenaussagen vor?

Häufig gestellte Fragen

Bin ich verpflichtet, einen Atemalkoholtest bei einer Verkehrskontrolle durchzuführen?

Nein, Sie sind nicht verpflichtet, einen freiwilligen Atemalkoholtest durchzuführen. Die Polizei kann jedoch bei einem begründeten Verdacht (Alkoholgeruch, Fahrfehler, etc.) eine Blutentnahme anordnen, die Sie dulden müssen, wenn sie rechtmäßig angeordnet wurde.
Ein Nachtrunkszenario beschreibt die Situation, dass jemand erst nach Beendigung der Fahrt Alkohol konsumiert hat. Da nur der Alkoholkonsum vor oder während der Fahrt strafbar ist, kann eine plausible und nicht widerlegbare Nachtrunkbehauptung zu einem Freispruch führen.
Gegen einen Bußgeldbescheid können Sie innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Einspruch einlegen. Diese Frist sollte unbedingt eingehalten werden, da der Bescheid sonst rechtskräftig wird.
Ja, wenn das Messverfahren wesentliche Mängel aufweist (fehlende Eichung, fehlerhafte Durchführung, etc.), kann dies zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Ohne verwertbare Messergebnisse ist eine Verurteilung in der Regel nicht möglich.
Absolute Fahruntüchtigkeit liegt ab einer BAK von 1,1 Promille vor und muss nicht durch weitere Beweise belegt werden. Relative Fahruntüchtigkeit kann bereits ab 0,3 Promille angenommen werden, wenn zusätzlich alkoholbedingte Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler nachgewiesen werden.
Bei medizinisch notwendiger Einnahme von Medikamenten mit Alkoholgehalt kann unter Umständen eine Ausnahmeregelung gelten. Entscheidend ist hierbei, dass die Einnahme ärztlich verordnet ist und die Fahrtüchtigkeit nicht beeinträchtigt wurde. Eine ärztliche Bescheinigung ist in solchen Fällen unerlässlich.
Die Wartezeit von mindestens 20 Minuten vor einer Atemalkoholmessung soll sicherstellen, dass kein Restalkohol im Mundraum das Ergebnis verfälscht. Die Nichteinhaltung dieser Wartezeit kann die Verwertbarkeit der Messung in Frage stellen.
Eine rechtmäßig angeordnete Blutentnahme müssen Sie dulden. Eine Verweigerung kann zwangsweise durchgesetzt werden und zusätzlich als Indiz gegen Sie gewertet werden. Sie haben jedoch das Recht zu prüfen, ob die Anordnung rechtmäßig erfolgte (in der Regel durch einen Richter).
Die Aussageverweigerung ist Ihr gutes Recht und darf nicht zu Ihrem Nachteil ausgelegt werden. Sie müssen lediglich Ihre Personalien angeben, aber keine Angaben zu Alkoholkonsum oder anderen tatrelevanten Umständen machen.
Für einen Führerscheinentzug im Strafverfahren ist eine rechtskräftige Verurteilung erforderlich. Im Verwaltungsverfahren (Fahrerlaubnisentziehung wegen Nichteignung) gelten jedoch andere Maßstäbe. Hier können auch Verdachtsmomente, wiederholte Auffälligkeiten oder die Verweigerung angeordneter Untersuchungen zur Entziehung führen.